18. Januar 1997
Liebesbeziehung zur Schönen Müllerin 
Gespräch mit dem Star der Komischen Oper: Countertenor Jochen Kowalski
Von Volker Blech
Er ist ein Star, was er selbst allerdings im burschikosesten Berlinerisch und ohne jede Koketterie abstreitet. Altus Jochen Kowalski wird wieder am Donnerstag um 20 Uhr in einem Liederabend in seinem Stammhaus, der Komischen Oper, zu erleben sein. Auf dem Programm steht Franz Schuberts "Die schöne Müllerin", am Klavier begleitet Markus Hinterhäuser. Wir sprachen mit dem Sänger.

Berliner Morgenpost: Zeitweilig hatte man den Eindruck, Sie haben sich an der Komischen Oper etwas rar gemacht?

Jochen Kowalski: Nee. Aber ich habe das große Glück, daß mir mein Haus wirklich die Freiheit gibt, auch woanders zu arbeiten.
 Jetzt war ich für eine Neuproduktion vom "Sommernachtstraum" für zwei Monate an der Met in New York. In Axel Köhler habe ich einen wunderbaren Kollegen, der dann für mich singt.

BM: Was ist für Sie eigentlich reizvoller: ein "großer" Opernabend oder ein "kleines" Liederprogramm?

Kowalski: Ehrlich gesagt, im Moment mehr das Liederprogramm. Da ist man ganz auf sich alleine gestellt, unabhängig von Orchester, Dirigent, Licht und Kostümen. An diesen Abenden können Sänger, Pianist und Publikum eine Dreier-Liebesbeziehung eingehen. Es ist etwas Wunderbares, wenn man Geschichten erzählen kann. Kleine Geschichten, die sich dann zu einem Zyklus wie die "Schöne Müllerin" verbinden.

BM: Was ist für Sie die Herausforderung an der "Schönen Müllerin"?

Kowalski: In gewisser Weise ist es ein Solo-Opernabend. Ein Einpersonen-Stück. Bekanntlich wollte Schubert ja immer Opern schreiben. Aber sie waren wegen der schlechten Texte erfolglos. Dabei ist es eine tolle Musik. Gerade in den beiden großen Zyklen "Winterreise" und "Schöne Müllerin" zeigt sich Schuberts Talent am dichtesten. Einer meiner Träume wäre es, sie einmal szenisch zu machen.

BM: Was ist eigentlich der Unterschied zwischen einem Countertenor und einem Altus?

Kowalski: Die Begrifflichkeit ist eigentlich schnuppe. Countertenor kommt aus der englischen Chortradition. Dahinter verbirgt sich eine vibratolose Gesangstechnik, die für die Kirchenmusik ideal ist.

BM: Ein Konzertmanager versicherte mir einmal scherzhaft, in England wüchsen die Countertenöre auf den Bäumen. Warum nicht in Deutschland?

Kowalski: Die haben ein ganz anderes Musikverständnis als wir in Deutschland. Dort hat jede Stadt und jede größere Gemeinde einen Chor. Und alle Altpartien werden dort von Jungs gesungen. In Deutschland schämen sie sich. Wie heißt das Vorurteil: Ein Mann singt so nicht.

 BM: Wie sind Sie Countertenor geworden?

Kowalski: Für mich war es nur ein Strohhalm. Ich habe ja sechs Jahre lang als Tenor an der Berliner Eisler-Musikhochschule studiert. Ich hatte immer die Stimme von Fritz Wunderlich im Ohr, und hörte dann auf dem Band meine Ergebnisse. Da klaffte eine riesige Lücke. Eines Tages habe ich mit einer Kommilitonin die Orpheus-Arie gesungen. Die begleitende Pianistin sagte: Mensch, Du bist ja ein Countertenor.

BM: Haben Sie seither Veränderungen an der Stimme bemerkt?

Kowalski: Oh ja, sie ist in den Jahren dunkler und dramatischer geworden. Ich mußte damit ja auch Häuser wie die Met füllen.

BM: Gibt es eine Traumrolle?

Kowalski: Das ist Glucks Orpheus. Den singe ich hier an der Komischen Oper in Harry Kupfers Inszenierung bereits seit 1987.

BM: Gibt es denn Regisseure, mit denen Sie gerne einmal arbeiten wollen?

Kowalski: Ich habe eine sehr gute Erinnerung an Thomas Langhoff. Ich finde Theaterregisseure überhaupt sehr spannend, weil sie mit Sängern anders umgehen. Manchmal muß man sie aber stoppen, denn ein Sänger kann nicht wie ein Schauspieler die Sachen
 hundertmal wiederholen. Das macht die Stimme nicht mit. Ich würde zum Beispiel gerne auch mal etwas mit Frank Castorf machen. Der könnte gut die "Fledermaus" inszenieren.
 

Berliner Morgenpost 1997