Saale-Zeitung vom 26.6.1999, Thomas Ahnert
Kissinger Sommer



Zusätzliche Dimension        Jochen Kowalski sang Volkslieder
Bad Kissingen(ta). Jochen Kowalski singt. Die Nachricht genügte, um einen Ansturm auf den Rossini-Saal auszulösen, wie er ihn schon lange nicht mehr erlebt hatte. Nicht nur, weil der Altist eine große Fangemeinde hat, die ihm zu allen Konzerten nachreist, sondern auch, weil das Programm äußerst verlockend war. Zusammen mit dem Pianisten Andreas Mitisek präsentierte er Volkslieder, Volksliedbearbeitungen von Johannes Brahms und Lieder von Peter Tschaikowsky.

Wenn Jochen Kowalski singt, ist das an sich schon ein Erlebnis, weil er wie kaum ein Sänger jeden Ton einzeln bildet, jedem Ton seine eigene Farbe gibt, ständig die Emotionalität überprüft und differenziert und weil es ihm davbei gelingt, seine eigene Aufmerksamkeit auf sein Publikum zu übertragen.

Zum anderen bekommen die Lieder durch die Stimmlage des Altus eine zusätzliche Dimension der Distanziertheit, der Betrachtung von außen, der Künstlichkeit. Sie erscheinen plötzlich außerhalb des Blickwinkels des gewohnten unter ganz anderen Aspekten, und zwar nicht nur "der gute Kamerad". Zudem wirkt die Stimme ungemein verletzlich, und sie braucht auch erst ein bißchen, bis sie richtig sitzt.

- Abschied und Trauer-

Jochen Kowalski hatte - leider - fast nur Lieder von unerfüllter Liebe und Abschied ausgewählt; so legte sich ein Grauschleier der Trauer über den Abend. Aber der war aus feinsten Spitzen. Ob "Das zerbrochene Ringlein" oder "Nun leb wohl, Du kleine Gasse", Schuberts "Heideröslein", Brahms' "Wach auf, meins Herzens Schöne" oder "Da unten im Tale"- stets beeindruckte die inspirierte Tiefe und Distanziertheit, mit der Kowalski sang. Daß er die Tschaikowsky-Lieder - darunter das berühmte "Inmitten des Balles" - in der Originalsprache sang, machte sie noch interessanter. Denn kaum ein Sänger kann die Weichheit der russischen Sprache so gut umsetzen wie er.

- Wandel der Begleitung-

Andreas Mitisek erwies sich als ein Begleiter am Flügel, der seine unterschiedlichen Rollen sehr genau definieren und darstellen konnte. Denn die Klavierstimme hatte unterschiedliche Funktionen zu erfüllen. Bei den Volksliedern ist die Begleitung wirklich nur Begleitung. Da liefert sie die harmonische Bodenplatte, auf der sich die Melodie bewegen und entfalten kann. Da spielte Mitisek sehr zurückhaltend, sehr weich. In den Volksliedbearbeitungen von Johannes Brahms gab er dem Klavier schon ein bißchen mehr Gewicht - aus gutem Grund, denn hier hatte die Begleitung schon etwas künstlerisches Eigengewicht. Vollends zum Partner wurde Mitisek bei den Tschaikowsky-Liedern, die den Kunstliedern zuzurechnen sind. Da spielte er offensiv gestaltend, da verdeutlichte er die romantische Klangsprache in den Liedern des russischen Komponisten.
Schade nur, daß er den Flügel nicht öffnen durfte, weil Jochen Kowalski wohl befürchtete, ins Hintertreffen zu geraten. Natürlich ist die Altus-Stimmlage ein empfindlich Ding. Aber so gut, wie Kowalski an diesem Abend drauf war, hätte er sich gut mit dem Flügel anlegen und den kämpferisch-kreativen Dialog suchen können.
Mit zwei Volksliedern beantworteten die beiden Künstler den langen Applaus: mit einem weiteren, verschmitzen Lied von Tschaikowsky und mit "der Mond ist aufgegangen".

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