Jörg Waschinski |
Xerxes. Von
Händel. Eine Traumrolle. Vor 250 Jahren sangen sie die Kastraten.
Nachdem die Kastraten ausgestorben waren, sangen sie die Frauen. Aber
jetzt sind die Männer auf dem besten Weg, diese Sopranpartien für ihr
Geschlecht zurückzuerobern. Wir werden uns an die Stimmbezeichnung
«Sopranist» ebenso gewöhnen, wie wir uns vor zwanzig Jahren an die
Countertenöre und Altisten gewöhnt haben. Einer von ihnen ist der junge Berliner Jörg Waschinski. Letzten Frühling sang er den Xerxes am Stadttheater St. Gallen. Mit einer unglaublichen Leichtigkeit, mit virtuos-perlender Beweglichkeit bei schlackenloser Reinheit, mit reicher Stimmfarbenpalette und vielfältigem emotionalem Ausdruck. |
Was ist das überhaupt, ein
Sopranist? Was unterscheidet ihn vom Countertenor, oder vom Altus?
Waschinski lacht nur: «Eine Frage, über die sich schon Jochen Kowalski
den Mund fusselig geredet hat. Grundsätzlich, würde ich sagen, ist
‹Countertenor› eher eine Registerbezeichnung, ein Oberbegriff. Und weil
jetzt immer mehr Countertenöre auftauchen, hat es sich als sinnvoll
erwiesen, wie in anderen Stimmgattungen auch, innerhalb des Registers
weiter zu differenzieren. ‹Altus› und ‹Sopranist› würden dann einfach
eine Höhenlage bezeichnen. Aber es gibt in diesem Bereich keine
einheitliche Terminologie. Mancher Altus versteht diese Bezeichnung
auch als Abgrenzung zum Countertenor und will damit ausdrücken, dass er
ganz körperlos singt. Das entspräche in etwa dem Gegensatz
lyrisch–dramatisch.»
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![]() Jörg Waschinski als Xerxes in St. Gallen. (Bild: Ernst Schär) |
Obwohl die Altisten mittlerweile ganz selbstverständlich zur Barockmusik gehören, muss Jörg Waschinski für seine Stimmlage Sopran selbst in der Musikwelt immer wieder das Eis brechen: «Ich habe 1994 die Aufnahmeprüfung an der Hanns-Eisler-Hochschule in Berlin gemacht. Ich habe die volle Punktzahl erreicht, sie hätten mich aufnehmen müssen, aber keiner der Lehrer war bereit, mich zu unterrichten. Da waren riesige Ängste vorhanden. Wenn Renate Faltin, die dann meine Lehrerin wurde, sich nicht doch noch bereit erklärt hätte, wäre ich nicht aufgenommen worden. Dabei ist der Umgang mit der Stimme beim männlichen Sopran rein gesangstechnisch genau derselbe wie bei jeder anderen Stimmlage.» |
Vielleicht
hätte er an einer auf Alte Musik spezialisierten Hochschule wie der
Schola Cantorum in Basel offenere Türen vorgefunden? «Ich habe daran
eigentlich gar nicht gedacht. Ich war bereits 28 Jahre alt und als
Kirchenmusiker tätig. Auf die Idee, Sopran zu singen, hat mich ein Buch
über das Kastratenwesen gebracht. Ich habe ganz allein damit begonnen,
die hohen Stimmlagen auszuprobieren, und habe gemerkt, dass ich sehr
hoch hinaufkomme und dass es auch ganz gut klingt.»
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Jörg Waschinski hatte eine
ganz normale Tenorstimme, interessanterweise mit einigen
Schwierigkeiten in der Höhe: «Die Stimme ist mir schon damals oft
umgebrochen, ich brachte den Registerwechsel nicht recht in den Griff.
Es war für mich sehr anstrengend, den Ton zu halten, ohne dass er ins
Falsett kippte.» Also gehört doch eine besondere körperliche
Disposition dazu, als Mann in der Sopranlage zu singen? «Jeder Sänger
kann Falsett singen, und bei einer gesunden Stimme kann das auch gar
keinen Schaden anrichten. Wie es klingt und wie man es nutzen kann, das
ist eine andere Frage. Ich denke, die Qualität des Klangs und der
Resonanzen, die hängt schon ein wenig von der Physiognomie und Anatomie
ab.»
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Waschinskis
Spitzenton ist das c''', an guten Tagen sogar das d'''. Er singt damit
auch im Vergleich zu anderen Sopranisten sehr hoch. «Das ist ja auch
meine Marktlücke!» sagt Waschinski. Diese Marktlücke führt ihn zu
Traumpartien wie dem Ruggero in Händels «Alcina» oder zum Titelhelden
der Hasse-Oper «Adriano in Siria», oder eben zum Xerxes: «Eine
unglaublich dankbare Rolle.»
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Waschinskis Karriere hat
eben erst richtig begonnen. An wichtigen Barockfestivals wie in Melk
ist er aufgetreten, im Frühling verzauberte er mit Farinelli-Arien bei
den erstmals durchgeführten Salzburger Pfingstfestspielen. Auch die
Plattenfirmen beginnen, seine Stimme zu entdecken: Zu hören ist er
bereits in Händels dramatischer Kantate «Clori, Tirsi e Fileno» (bei
NCA), in einer wunderbaren Solokantate von Giovanni Bononcini unter Ton
Koopman (eine Produktion der Barocktage Melk und des ORF) und auf einer
interessanten Platte mit geistlichen Werken von Kaiser Leopold I. unter
Martin Haselböck (bei cpo).
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Das Spiel mit
den Geschlechterrollen hat für Jörg Waschinski einen ganz besonderen,
fast erotischen Reiz. «Es macht mir Spass, damit zu kokettieren. Aber
ich möchte natürlich nicht dastehen und einen weiblichen Eindruck
hinterlassen.» Es wäre wieder etwas anderes, wenn er Norma singen
würde. Überraschung, lacht Waschinski: Die Carmen hat er zum Spass
schon einmal gemacht! (Reinmar Wagner) |
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