SPIEGEL: Herr Kowalski, Sie singen
mit einer glockenreinen Frauenstimme. Fehlt Ihnen etwas?
Kowalski: Absolut nicht. An mir ist alles dran.
An meine Stimme habe ich mich aber noch immer nicht gewöhnt.
Für mich ist es ein psychologisches Problem, das ich noch nicht
verarbeitet habe. Denn eigentlich wollte ich natürlich Tenor
werden. Und wenn ich mein lyrisches Gesangsidol Fritz Wunderlich höre,
kriege ich noch heute gelegentlich eine Depression.
SPIEGEL:Wie kommen Sie denn
zu Ihrem Hochton-Organ?
Kowalski: Ganz einfach: Meine Altstimme blieb mir über
den Stimmbruch hinaus erhalten. In der Charité hat man mir
mal eine Mini-Kamera in den Hals geschoben und entdeckt, daß meine
Stimmbänder nur an den Rändern schwingen, im Unterschied zu anderen
Sängern. Es ist eine Art Defekt. Auf der Bühne bleibt
mir deshalb vorwiegend das barocke Kastraten-Fach, also Partien wie Händels
Julius Caesar oder Giustino.
SPIEGEL:Sie sind ein Countertenor.
Kowalski: Nicht wirklich. Diese Kollegen erreichen
die Höhen durchs Falsett, quasi mit einer künstlichen, gepreßten
Kopfstimme. Ich nenne mich deshalb lieber Altus.
SPIEGEL:In weiche Höhen
schwingen Sie sich hinauf?
Kowalski: Bis zum zweigestrichenen F, wie ein normaler
Frauen-Alt eben auch. Damit kann ich zum Beispiel die Alt-Partie in
der "Matthäus-Passion" von Bach singen.
SPIEGEL:Mit der Panne im Kehlkopf
haben Sie es weit gebracht - zum Kammersänger und nun auch zum Star
an der Met.
Kowalski: Komisch, was? Ich staune selbst darüber.
Früher war ich das Stimmwunder der DDR, und jetzt singe ich zum erstenmal
in New York, den "Fledermaus"-Orlofsky. Vor Aufregung habe ich seit
Tagen nicht mehr geschlafen.
SPIEGEL:Haben Sie immer noch
Angst vor einem neuen Publikum?
Kowalski: Das ist jedesmal ein Kampf. Denn ich
muß die Leute ständig davon überzeugen, daß einzig
diese Stimme zu mir paßt. Wenn ich anfange zu singen, geht oft
ein Staunen durch die Menge. Die gucken ins Programmheft und dann auf die
Bühne: Ist das wirklich ein Mann da oben?
SPIEGEL:Hat man Sie schon einmal
ausgelacht?
Kowalski: Einmal, bei einem Liederabend. Da bekam
ich einen hochroten Kopf und einen schrecklichen Adrenalin-Stoß.
Aber irgendwie kriege ich die Leute immer rum. Manchmal brauche ich
ein halbes Programm. Spätestens bei Schumanns "Dichterliebe"
herrscht Totenstille, und am Ende toben sie meist vor Begeisterung.
SPIEGEL:Wer erhitzt sich denn
so für Sie?
Kowalski: In Deutschland, besonders hier in Berlin,
ist es ein verschärftes Damen-Publikum, Kräfte von 18 bis 81, die
mir nachreisen, Schals und warme Strümpfe stricken. Manche glauben
sogar, sie müßten mich dringend heiraten. Die sehen in mir ein
Lustobjekt. In Spanien mögen mich seltsamerweise die Männer.
SPIEGEL:Etwa auch als Lustknaben?
Kowalski: Nee, die fahren auf meine Stimme ab, wollten
aber nur Bier mit mir trinken. Die Spanier lieben das deutsche Kunstlied.
Dabei habe ich immer gedacht, die kennen nur Zarzuelas oder ihre National-Heroine
Montserrat Caballé.
SPIEGEL:Italien, das Mutterland
der Kastraten, legt Ihnen doch sicher zu Füßen?
Kowalski: Überhaupt nicht. In Rom ging mal
ein Abend mit Händel-Kantaten total daneben. Die Italiener sind fixiert
auf ihre "grandi tenori". Mit meinem Altus können die nichts anfangen.
Früher war das da ganz anders. Wenn Kastraten sangen, wie der
berühmte Farinelli etwa, fielen die Frauen reihenweise in Verzückung
und Ohnmacht. Gesang hat eben immer etwas mit Sexualität und Erotik
zu tun. Wenn ich eine tolle Stimme höre, merke ich das immer sofort
ganz unten im Zwerchfell. Im Unterleib spielen sich dann chemische Prozesse
ab.
SPIEGEL: Wer bringt Sie denn
in Wallung?
Kowalski: Die legendäre Lotte Lehmann zum Beispiel.
Was bei Lotti abgeht, ist nicht zu fassen. Technisch war sie ja gar
nicht perfekt. Aber wenn ich sie auf Platte als Sieglinde im ersten
Akt der "Walküre" mit Lauritz Melchior höre, dann ist das für
mich ein erotisches Gewitter, Ihre Kollegin Kirsten Flagstad hat nach einem
Lehmann- Auftritt mal gesagt: "So was tut eine anständige Frau nur
mit ihrem Ehemann im Bett."
SPIEGEL:Mit Händel und
Gluck stürmt man keine Schlafzimmer.
Kowalski: Nee. Deshalb träume, ja, phantasiere
ich manchmal immer noch von den sinnlichen Wagner-Partien, von Lohengrin
oder gar vom Tristan, am liebsten in Bayreuth. Ich habe Festspiel-Chef
Wolfgang Wagner sogar schon angeboten, das Altsolo im "Parsifal" umsonst
zu singen. Herr Wagner, please.